Auf die Freiberuflichkeit!
Während ich diesen Beitrag mal eben texte, liege ich in der Sonne. Meine volle Konzentration darauf gerichtet, dass beim Schaukeln der Hängematte nicht das volle Glas Blue Lagoon umfällt.
Nicht selten hatte ich vor allem im Sommer den Eindruck, dass Kunden davon ausgehen, dass ihre Freiberufler nach dem Meeting weiter Sonnenbaden gehe. Leicht zu erkennen an dem Satz: „Du setzt dich doch gleich bestimmt mit deinem Notebook in die Sonne, oder?“
Ähm, … hatten wir nicht die letzten anderthalb Stunden über ein recht umfangreiches Projekt gesprochen?
Hatten wir nicht auch Liefertermine festgelegt? Den KVA schicke ich heute noch. Noch bevor ich die Mails zur Koordination anderer Termine beantwortet habe. Als nächstes der Rücklauf aus dem Korrektorat. Die Fertigstellung eines anderen Auftrags erfordert Konzentration. Und Zeit. Klarer Fall für einen doppelten Espresso am Nachmittag. Zwischendurch eine Rückfrage aus dem Steuerbüro. Trotz Tagesgeschäft nicht vom Radar verschwinden. – Fürs nächste Posting lasse ich mir auf dem Heimweg was einfallen.
In Deutschland gibt es den subtil-pathologischen Wettbewerb:
Wem von uns beiden geht es schlechter – dir oder mir?
Die meiste Aufmerksamkeit gewonnen hat, wer am meisten und lautesten jammert. Als Freiberuflerin habe ich die Freiheit, selbst zu bestimmen, wann ich arbeite und wo ich arbeite. Und auch für wen ich zu welchem Preis arbeite. Ich muss halt nur die Konsequenzen im Auge behalten.
Freiberufler ist natürlich ein Sammelbegriff.
Zwei Freiberufler-Typen sind mir in den letzten Jahren aufgefallen: Gerade im Dunstkreis von Konzernen oder öffentlichen Anstalten gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die – wenn es gut läuft – mehr fest als frei sind. Und wenn es nicht gut läuft, sich eine 10er-Karte fürs Freibad kaufen können. Denn für einen längeren Urlaub fehlt die Planungssicherheit. Selbst das Selbstverständnis dieser Freiberufler ist mehr angestellt als unternehmerisch. Angelockt von (scheinbar) hohen Honoraren oder endlich dem rar gesäten künstlerischen Job …
Jeder Erstauftrag eine Bewährungsprobe
Und dann gibt es die Freiberufler vorwiegend mit Projektgeschäft. So wie mich. Der erste Termin mit dem Neukunden immer noch fast wie ein Vorstellungsgespräch. Nach erfolgreicher Verhandlung jeder Erstauftrag eine Bewährungsprobe. Eingehendere Einarbeitung in Eigenregie. Die Zeit läuft und kann nur einmal verkauft werden. Die Erwartungen sind hoch. Der eigene Anspruch auch.
Und dann kam Corona und aus vielen Angestellten werden fast Freiberufler.
Auf welche Ideen könnte der Shutdown Unternehmen bringen? Die negative Steigerung wären ferngesteuerte digitale Tagelöhner, selbstversichert in der selbstfinanzierten Infrastruktur.
Die positive Steigerung wären weniger Staus. Auf den Straßen, in den Projekten und vor allem im Kopf. Wem der Switch zwischen Vor-Ort-Präsenz und Home-Office liegt, muss nicht den Job wechseln, um mehr Abwechslung zu haben – und vor allem einzubringen.
+ Mehr Gestaltungsfreiräume
+ Mehr Erfolgserlebnisse
+ Vielfältige Herausforderungen
+ Ständiges Lernen
+ Tolle Kunden und Geschäftspartner
An manchen Tagen im Jahr denke ich, dass ich mir das mit den Vorteilen nur einbilde. Und dann denke ich, dass ich mir viel öfter die Freiheit nehmen sollte, sturzbetrunken von drei Pokalgläsern Blue Lagoon in der Sonne zu liegen.
Auf die Freiberuflichkeit! In guten Zeiten und in schlechten Zeiten.